Einfache Formen des Lernens

 

Einfache Formen des Lernens, wie Habituierung, Sensitivierung und Konditionierung finden sich auch bei wirbellosen Tieren. Besonders gut ist dies bei der Meeresschnecke Aplysia oder der gemeinen Fruchtfliege Drosophila melanogaster untersucht. Ein Pionier auf diesem Gebiet der Lernforschung ist der Neurobiologe Eric Kandel.

 

Habituierung – Warum wird die Reaktion auf den Reiz immer schwächer?

Eric Kandel untersuchte bei der Meeresschnecke Aplysia, dass nach wiederholter Berührung des Siphons der Kiemenrückzugsreflex immer schwächer wird. Der daran beteiligte Reflexbogen besteht nur aus zwei Nervenzellen: einer Sinnesnervenzelle und einer motorischen Nervenzelle. Nach wiederholtem Feuern der Sinnesnervenzelle, der Präsynapse, wird deren Botenstoffausschüttung immer weiter reduziert, wodurch die motorische Nervenzelle, die Postsynpase immer weniger gereizt wird. Der Reflex wird schwächer. Verantwortlich für diesen Effekt ist eine Inaktivierung der Calcium-Kanäle in der Präsynpase, die dazu führt, dass weniger Calcium in die Synapse einströmt, das die Ausschüttung von Botenstoffen herbeiführen kann. Zunächst ist dieser Effekt nur kurzfristig, man spricht von Kurzzeithabituation. Wird das Experiment über längere Zeit immer wieder durchgeführt, wird irgendwann der synaptische Kontakt selbst geringer. Dann spricht man von Langzeithabituation.

 

Sensitivierung – Warum wird die Reaktion auf den Reiz immer stärker?

Während die Habituierung nur eine Synapse mit einbezieht, sind an der Sensitivierung immer mindestens zwei Synapsen beteiligt. Im Versuch mit Aplysia zeigte sich der Effekt, dass eine Reizung des Schwanzes den Kiemenrückzugreflex nach Berührung des Siphons verstärkt. Verantwortlich für diesen Effekt ist neben den beiden bei der Habituierung erwähnten Nervenzellen ein Interneuron, das zwischen der sensorischen Zelle des Schwanzes und der motorischen der Kiemen zwischengeschaltet ist. Wird der Schwanz gereizt, so wird über die sensorische Zelle auch das Interneuron aktiviert, das zu Veränderungen in der Präsynapse des sensorischen Kiemenneurons führt. In der Präsynapse wird dadurch kein Aktionspotential ausgelöst, sondern eine second-messenger-Kaskade in Gang gesetzt, die zu einer erhöhten Botenstoffausschüttung führt, indem z.B. die Beweglichkeit der Vesikel der Botenstoffe erhöht oder Kaliumkanäle blockiert werden, um die Länge der Übertragung zu erhöhen. Eine Abbildung zu den molekularen Mechanismen findet sich im Kapitel zur Plastizität (Abb. 12.2).

 

Klassische Konditionierung

Die klassische Konditionierung, die vielen unter dem Stichwort Pavlov’sche Konditionierung bekannt ist, ist die einfachste Form assoziativen Lernens, d.h. der Verknüpfung zwischen Reizen. Dabei werden zwei Reize direkt hintereinander präsentiert, wobei der erste ein Reiz ist, der normalerweise keine Reaktion auslöst, der zweite einer, der üblicherweise eine Reaktion hervorruft. Werden diese zwei Reize mehrfach präsentiert, so wird irgendwann bereits der erste Reiz allein die eigentlich zum zweiten Reiz gehörende Reaktion hervorrufen. Es hat sich eine Assoziation, Verknüpfung, zwischen dem ersten bedingten Reiz (conditioned stimulus) und dem zweiten unbedingten Reiz (unconditioned stimulus) gebildet.

Beispiel: Ein Hund sieht Futter (unbedingter Reiz). Der Speichelfluss setzt ein (unbedingte Reaktion). Fortan wird eine Glocke geläutet (bedingter Reiz), bevor der Hund das Futter sieht (unbedingter Reiz). Bereits nach kurzer Zeit hat der Hund die Assoziation „Glocke=Futter“ gebildet. Allein das Läuten der Glocke wird von nun an seinen Speichelfluss auslösen.

 

Um zu verstehen, was dabei im Gehirn vor sich geht, ist es einfacher sich wieder das einfachere Nervensystem der Meeresschnecke anzuschauen. Neben dem Reflexweg des Kiemenrückzugsreflexes gibt es einen weiteren Erregungsweg vom Mantelrand zum Motoneuron der Kiemen. In einem Versuch wurden nun zwei unterschiedliche Konditionierungen durchgeführt.

a) Positive Konditionierung: Erst wurde der Mantelrand leicht berührt, dann dem Schwanz ein Schock versetzt.

b) Negative Konditionierung: Der Siphon der Kiemen wurde berührt, aber kein Schock am Schwanz gegeben.

Bei der positiven Konditionierung (a) wurde der unbedingte Reiz „Schock am Schwanz“ mit dem bedingten Reiz „Mantelberührung“ verbunden. Ein heftiger Rückzugreflex war die Folge.

Bei der negativen Konditionierung (b) hingegen wurde die Berührung des Siphons mit „keinen Folgen“ assoziiert so dass kein Kiemenrückzugsreflex mehr ausgelöst wurde.

 

Neuronal wird diese klassische Konditionierung durch Veränderungen in der Prä- und in der Postsynapse ermöglicht. In der Präsynapse führen die kurz hintereinander eintreffenden Reize zu einer längerfristigen Verstärkung oder Verminderung der Botenstoffausschüttung. In der Postsynapse wird eine durch einen besonderen Rezeptor ausgelöste Prozess-Kaskade in Gang gesetzt, an deren Ende die Synthese von Proteinen und die Umwandlung der gesamten Synapse stehen können. Dort, wo dieser Rezeptor anzutreffen ist, der NMDA-Rezeptor genannt wird, spricht man von Lernsynpasen. Diese Lernsynapsen bilden die Grundlage für die von Donald Hebb formulierte Lernregel: „Nervenzellen, die zusammen feuern, verbinden sich miteinander“ (what fires together, wires together).

 

Für Experten und molekular Interessierte:

Vorgänge an der Präsynapse:

Auf Seiten der Präsynapse löst ein Aktionspotential zum einen einen Calcium-Einstrom aus, der zur Transmitterfreisetzung führt, zum anderen bindet Calcium an ein Protein namens Calmodulin. Der Komplex wiederum bindet an ein Enzym, die Adenylatcyclase, die den second messenger cAMP freisetzt. Darüber hinaus wird dieses Enzym durch die Bindung für den Botenstoff Serotonin empfindlich. Erreicht dieses nun die Präsynapse durch die Auslösung eines unbedingten Stimulus, so wird noch mehr cAMP freigesetzt und folglich Calcium einströmen gelassen. Das Timing in dieser Kaskade zur Auslösung einer Konditionierung ist also entscheidend!

 

Vorgänge an der Postsynapse:

Darüber hinaus hat die Konditionierung auch in der Postsynapse Konsequenzen. Der entscheidende Botenstoff des Reflexbogens ist Glutamat. Glutamat hat auf der Postsynapse unterschiedliche Rezeptoren. Dies sind zum einen die so genannten AMPA-Rezeptoren, die zur Depolarisierung der Postsynapse führen, zum anderen die NMDA-Rezeptoren. Unter „normalen“ Umständen ist ein NMDA-Rezeptor durch Magnesium blockiert. Wird die Membran jedoch kurz hinter einander mehrfach depolarisiert, z.B. durch zwei kurz hintereinander eintreffende Reize, so löst sich die Magnesium-Blockade und Calcium kann einströmen. Dieser Calcium-Einstrom führt zu einer Prozesskaskade, an deren Ende die Synthese von Proteinen und die Umwandlung der gesamten Synapse stehen können.

Für Details und bebilderte Erläuterungen siehe auch Plastizität.

 

Operante Konditionierung

Die operante Konditionierung steht bereits an der Schwelle zu den komplexeren Lernformen und liegt vielen Lernvorgängen zugrunde.

 

Unter operanter Konditionierung versteht man die Beeinflussung eines spontan gezeigten Verhaltens durch ein Resultat auf dieses Verhalten. Je nachdem, ob das Resultat positiv (Belohnung) oder negativ (Wegfall einer Bestrafung oder eines aversiven Reizes) ist, wird dieses Verhalten künftig häufiger oder weniger häufig gezeigt. Man spricht auch von positiver Verstärkung bzw. negativer Verstärkung.

 

Einige Beispiele:

Positive Verstärkung:

  • Ein Kind räumt sein Zimmer auf. Dafür wird es gelobt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es nun öfter sein Zimmer aufräumen (Belohnung).
  • Ein Kind schreit an der Kasse, weil es etwas Süßes möchte. Die Eltern geben nach, weil die Leute „ja schon gucken“. Das Kind wird auch beim nächsten Mal wieder an der Kasse schreien.

Negative Verstärkung:

  • Ein Kind räumt sein Zimmer auf. Die Mutter schimpft deswegen heute nicht mit ihm über das unordentliche Zimmer (Ausbleiben der Bestrafung).
  • SchülerInnen machen Ihre Hausaufgaben, um zu vermeiden, dass die LehrerIn sie ermahnt.

Bei der operanten Konditionierung wird also eine Assoziation zwischen einer Verhaltensaktion und einem Verstärker oder dem Ausbleiben einer Bestrafung gebildet. Dies kann verschiedene Gehirnareale mit einbeziehen und zählt deswegen zu den komplexeren Formen des Lernens.

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