Der Hirnstamm oder das „Reptiliengehirn“
Der Hirnstamm ist der älteste und tiefliegenste Teil des menschlichen Gehirns. Er hat sich bereits vor ca. 500 Millionen Jahren im Laufe der Evolution entwickelt. Er enthält die Hirnnervenkerne (siehe unten) und alle lebenswichtigen Bereiche wie die Atmung, die Regulation des Herzschlages, der Nahrungsaufnahme und der Darmtätigkeit. Da dies Grundvoraussetzungen für das Leben eines jeden Wirbeltieres sind, haben alle Wirbeltiere diesen Gehirnteil, und er ist bei allen nahezu gleich aufgebaut. Bei niederen (Nicht-Säugetier-) Wirbeltieren wie den Reptilien macht dieser Bereich sogar fast das gesamte Gehirn aus und trägt daher auch seinen Namen „Reptiliengehirn“.
In der Medulla oblongata, dem verlängerten Rückenmark, liegen – insbesondere in einer Region, die sich Formatio reticularis nennt und den ganzen Hirnstamm (nicht nur die Medulla oblongata) durchzieht (s.u.), – die Zentren für die vegetative, d.h. unbewusste Steuerung der eben genannten Vorgänge (Atemzentrum, Brechzentrum u.a.). Von hieraus ziehen Nervenbahnen zu den einzelnen Körperorganen, um die Informationen über die notwendige Regulation weiterzuleiten. Darüber hinaus ist die Medulla eine wichtige Umschaltstation innerhalb des motorischen Systems. Z.B. liegt hier der Olivenkernkomplex, der eine wichtige Funktion für die Feinabstimmung und Koordination von Bewegungen hat.
Die Brücke (Pons) stellt die Verbindung zwischen vorderen und hinteren Gehirnbereichen her. Nahezu alle Fasern, die diese Bereiche verbinden, laufen durch die Brücke. Auch befinden sich hier zahlreiche Kerngebiete, in denen Nervenbahnen zwischen Groß- und Kleinhirn verschaltet werden. Diese nennt man Brückenkerne oder Nuclei pontis.
Im Mittelhirn liegen zahlreiche Kerne wichtiger Hirnnerven (s.u.), die Ursprungskerne des Dopamin-Systems, eines wichtigen Botenstoffes, und die Zentren für die Steuerung von Augenbewegungen.
Schaut man von der Rückenseite auf das Mittelhirn, fallen vier kleine, markante Hügel auf, die man entsprechend als Vierhügelplatte oder Tectum mesencephali (Dach des Mittelhirns) bezeichnet. Die beiden oberen werden als Colliculi superiores, die beiden unteren als Colliculi inferiores bezeichnet, was nichts anderes „obere und untere Hügelchen“ heißt. Die oberen spielen eine Rolle bei Augenreflexen, die unteren sind ein Teil der Hörbahn.
Darunter liegt das Tegmentum mesencephali (Die Haube des Mittelhirns). Drei wichtige Bereiche sind hier zu nennen: Die schwarze Substanz (Substantia nigra), der rote Kern (Nucleus ruber) und die retikuläre Formation (Formatio reticularis). Die Substantia nigra ist einer der beiden Ursprungskerne des dopaminergen Systems. Der Nucleus ruber trägt seinen Namen aufgrund seiner roten Farbe, die durch einen hohen Eisengehalt zustande kommt. Er ist ein wichtiger Umschaltkern der motorischen Bahnen zwischen Großhirn und Kleinhirn.
Die Formatio reticularis ist ein Netz von Nervenzellen (daher der Name reticularis – netzartig), das sich über das gesamte Tegmentum bis hinunter zum Rückenmark (also auch durch die Medulla oblongata) zieht. Hier liegen Kerne für lebenswichtige Funktionen, nämlich für die Regulation und Koordination von Atmung, Schluckreflex, Kreislauf, Brechen usw. Darüber hinaus entspringt der Formatio reticularis das sogenannte „Weckzentrum“, das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS). Im Zusammenspiel mit dem Thalamus, in dessen Kontext es auch näher beschrieben werden soll, steuert es die Aufmerksamkeit und Wachheit bzw. Schläfrigkeit und geistige Abwesenheit.
Die Hirnnerven
Als Hirnnerven werden die zwölf Nerven, oder besser gesagt zwölf Hirnnervenpaare (ein Nerv für jede Körperseite) bezeichnet, die nicht über das Rückenmark laufen, sondern direkt aus dem Gehirn, die meisten aus dem Stammhirn, entspringen. Eine Ausnahme bildet der 11. Hirnnerv, der aus dem Rückenmark entspringt, aber parallel zum Rückenmark in den Schädel zieht und darum mit zu den Hirnnerven gezählt wird. Alle Hirnnerven gehören zum peripheren Nervensystem. Sie haben z.T. motorische (Bewegungssteuerung), z.T. sensorische (Wahrnehmung) und z.T. gemischte Funktionen. Bezeichnet werden sie mit römischen Ziffern von I bis XII und lateinischen Namen, die auf ihre Funktion schließen lassen (sollen).
Nr. |
Bezeichnung |
Typ |
Funktion |
I |
Nervus olfactorius |
sensorisch |
Geruch, Geschmack |
II |
Nervus opticus |
sensorisch |
Gesichtssinn |
III |
Nervus oculomotorius |
motorisch |
Augen- und Augenlidbewegung; Anpassung an die Entfernung |
IV |
Nervus trochlearis |
motorisch |
oberer schräger Augenmuskel |
V |
Nervus trigeminus |
sensorisch/ motorisch |
sensorisch: Gesichtshaut |
VI |
Nervus abducens |
motorisch |
äußere gerade Augenmuskeln |
VII |
Nervus facialis |
sensorisch/ motorisch |
sensorisch: vorderer Teil der Zunge |
VIII |
Nervus vestibulocochlearis |
sensorisch |
Gleichgewichtsorgan (Vestibulum) und Gehörschnecke (Cochlea) |
IX |
Nervus glossopharyngeus |
sensorisch/ motorisch |
sensorisch: hinterer Teil der Zunge, weicher Gaumen, Pharynx und Schlund |
X |
Nervus vagus |
sensorisch/ motorisch |
sensorisch: Eingeweide |
XI |
Nervus accessorius |
motorisch |
Nacken (Kopfdreher) und Achsel; Ergänzung des Vagus |
XII |
Nervus hypoglossus |
motorisch |
Zunge |