Neurotransmitter – Botenstoffe des Gehirns

 

Transmitter heißt nichts anderes als Botenstoff. Neurotransmitter sind demnach die  Botenstoffe des Nervensystems.

 

Nervenimpluse werden zunächst einmal elektrisch weitergegeben. Zwischen manchen Nervenzellen  bestehen zwischen den Nervenzellendigungen (Synapsen)  kleine Verbindungen, durch die der elektrische Reiz einfach hindurchfließen  kann (elektrische Synapsen). Bei diesem  Übergang wird die Information gleichförmig weitergeleitet. Gäbe es nur solche  Verbindungen, würden alle Informationen in gleicher Stärke und unverändert im  Gehirn ankommen. Dann gäbe es ein riesiges Chaos und eine geregelte  Verarbeitung wäre nicht möglich. So etwas wie Konzentration, gerichtete  Aufmerksamkeit, Denken etc. wären nicht möglich. Darum gibt es zwischen den  meisten Nervenzellen keine elektrische Verbindung, sondern eine chemische – die  Neurotransmitter. Erreicht ein Signal das Ende einer Nervenzelle, werden  Neurotransmitter ausgeschüttet, die zur anderen Zelle fließen (diffundieren).  Je nachdem auf welchen Rezeptor sie dort treffen, produzieren sie Aktivierung  oder Hemmung (Näheres dazu aber im Kapitel zur chemischen Synapse). So werden Signale und Informationen moduliert.

 

Zur Zeit sind  über 100 verschiedene Neurotransmitter bekannt. Über die wichtigsten (nach dem  momentanen Stand der Forschung) soll hier zuerst ein kurzer Überblick gegeben werden:



Neurotransmitter

Klasse 
(gemäß ihrer chemischen Struktur*)

Vorkommen/ Wirkort

Wirkung

Acetylcholin

Amine
 

ZNS: Kognition, Lernen, Antrieb

PNS: vermittelt Signale zw. Nerven und Muskeln; Reizweiterleitung im sympathischen und parasympathischen System

v.a. erregend

Adrenalin

Monoamine, Katecholamine

ZNS: noch nicht genau bekannt, wahrscheinlich Blutdruckregulation, PNS:  „Stresshormon“ im sympathischen System

erregend und hemmend

Noradrenalin

Monoamine, Katecholamine

ZNS: Aufmerksamkeit,    Motivation, Emotion
PNS: „Stresshormon“ im sympathischen System (Kampf oder Flucht)

erregend und hemmend

Dopamin

Monoamine, Katecholamine

ZNS: Bewegungssteuerung, „Belohnungssystem“ (auch Drogenwirkung), Motivation, Arbeitsgedächtnis (s. auch unten)

PNS: Steuer- und Regelvorgänge (u.a. Durchblutung der Organe)

v.a. hemmend

Serotonin

Monoamine

ZNS: beeinflusst fast alle Hirnfunktionen mit Stimmung, Appetit, Schmerz, Schlaf-Wach-Rhythmus, Sexualverhalten, Temperatur

PNS: Blutdruckregulation (über Spannung der Gefäßwende)

erregend und hemmend

Gamma-Amino-Buttersäure (GABA)

Aminosäuren

ZNS: wichtigster hemmender Neurotransmitter, hemmt und reguliert dadurch Aktivität anderer Nervenzellen - „Schleusen-wärterfunktion“, körpereigenes Beruhigungsmittel

hemmend

Glutamat

Aminosäuren

ZNS: wichtigster erregender Neurotransmitter; an fast allen Hirnfunktionen beteiligt: Sinneswahr-nehmung, Bewegungs-steuerung, Lernen, Gedächtnis

erregend

Substanz P

Peptide

ZNS, PNS: erhöht Sensitivität für Schmerz

erregend (z.T. modulierend hemmend)

Endorphine

Peptide

ZNS, PNS: Schmerz-, Hungerlinderung, Euphorie

v.a. hemmend

* Amine: Moleküle, die Aminogruppe(n) enthalten

  Monoamine: Moleküle, die eine Aminogruppe enthalten

  Katecholamine: leiten sich vom Catechol (dt.: Benzolcatechin) ab

  Peptide: bestehen aus mehreren Aminosäuren



 

Manche Neurotransmitter sind überall im Gehirn verteilt bzw. – richtiger ausgedrückt – die Nervenzellen, die diesen Botenstoff benutzen, sind überall im Gehirn verteilt (Glutamat, GABA, Peptide). Andere hingegen verlaufen in gezielten Bahnen durch das Gehirn. Die Kerne dieser Bahnen liegen in einer oder mehreren Ursprungsregionen, und ihre Axone ziehen von dort an ganz bestimmte Zielorte, um modulierend auf die dortigen Prozesse einzuwirken. Das Vorkommen eines solchen Neurotransmitters ist eng mit seinen Funktionen verbunden, so dass eine genauere Betrachtung lohnt.



Cholinerge Bahnen (Acetylcholin)

 

Die Bahnen des Neurotransmitters Acetylcholin werden als cholinerg bezeichnet. Innerhalb des cholinergen Systems werden drei große Bahnsysteme unterschieden:

  • Cholinerge Neurone aus den Kernen des medialen Septums ziehen zum Cortex und zum Hippocampus.
  • Cholinerge Neurone des Nucleus basalis Meynert ziehen ebenfalls zum Cortex und zum Hippocampus.
  • Cholinerge Neurone aus Kerngebieten in der Pons ziehen zum Thalamus und absteigend zur Formatio reticularis.
Abb. 11.1: Bahnen des cholinergen Systems

 

Über die Bahnen zum Cortex, zum Hippocampus und zum Thalamus ist Acetylcholin im Gehirn entscheidend an Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt. Ferner steuert Acetylcholin im Hippocampus den so genannten Theta-Rhythmus, der eine Grundvoraussetzung für die Gedächtnisbildung ist.



Noradrenerge Bahnen

 

Noradrenerge Ursprungsgebiete liegen in der Medulla oblongata, der Pons und dem Mittelhirn. Wichtigster Kern ist der Locus coeruleus im Mittelhirn. Obwohl nur einige Tausend Zellen im Gehirn Noradrenalin produzieren, umfasst ihr Projektionsgebiet fast das gesamte Gehirn und Rückenmark.



Abb. 11.2: Bahnen des noradrenergen Systems

 

Über die Projektionen in den Hirnstamm ist Noradrenalin an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt, über die Projektionen zu Thalamus und Cortex an der Steuerung von Aufmerksamkeit, Erregung und der Infor-mationsverarbeitung, über die Projektionen zum Hippocampus schließlich wirkt es an Lern- und Gedächtnisprozessen sowie der Verarbeitung von Angst und Emotionen mit.

 

Dopaminerge Bahnen

 

Neurone, die Dopamin als Neurotransmitter benutzen, ziehen in relativ klar abgrenzbaren Projektionsbahnen durch das Gehirn. Dabei lassen sich vornehmlich zwei große Bahnsysteme
unterscheiden:

 

Das nigrostriatale System entspringt der schwarzen Substanz (Substantia nigra) im Mittelhirn und zieht zum dorsalen Striatum (Caudatus-Putamen). Es spielt eine bedeutende Rolle in der Ausführung von Bewegungen (Parkinson ist z.B. durch Schäden in diesem System gekennzeichnet).

 

Das mesolimbocorticale System nimmt seinen Ursprung hauptsächlich im ventralen tegmentalen Areal (VTA). Von dort ziehen die Bahnen zu Strukturen des limbischen Systems wie dem Nucleus accumbens, der Amygdala und dem Hippocampus, sowie zum Stirnhirn (frontalem Cortex). Über diese Bahnen nimmt Dopamin maßgeblichen Einfluss auf Emotionen (insbesondere positive durch Projektionen zum Nucleus accumbus – Belohnungssystem), sowie höhere Gehirnfunktionen, die im
Stirnhirn lokalisiert sind oder aus dem Zusammenspiel von Stirnhirn und limbischen System (limbo-präfrontales System) entstehen.



Abb. 11.3: Bahnen des dopaminergen Systems

 

Eine nennenswerte Besonderheit des dopaminergen Systems ist seine verzögerte Reifung. Im Gegensatz zu anderen Neurotransmitter-Bahnen ist die dopaminerge Bahn mit der Geburt nicht ausgereift, sondern reift bis in das junge Erwachsenenalter hinein, d.h. bis etwa zum 20. Lebensjahr! Dabei wachsen die Bahnen von „hinten nach vorn“, d.h. von den Ursprungskernen im Mittelhirn über das limbische System und das Striatum bis zum Stirnhirn, wo sie ihre volle  Ausreifung im jungen Erwachsenenalter erreichen. So erhält jede Hirnregion praktisch ein eigenes Zeitfenster in der nachgeburtlichen Entwicklung, was von besonderer Bedeutung für die Reifungsphasen eines jeden Kindes und Jugendlichen ist. In diesen Zeitfenstern ist die Entwicklung des jeweiligen Areals nämlich besonders empfänglich für äußere Reize – und dies sowohl im positiven als auch im negativen Sinne (kritische Phasen).



Serotonerge Bahnen

 

Serotonerge Ursprungskerne liegen vor allem in den Raphe-Kernen des Hirnstamms, d.h. im Mittelhirn, der Pons und der Medulla oblongata. Von dort ziehen sie in fast alle Bereiche des Gehirns incl. des Hirnstammes und des Rückenmarks.

 

Abb. 11.4: Bahnen des serotonergen Systems

 

Serotonin wirkt auf verschiedenste Prozesse modulierend ein und interagiert mit anderen Neurotransmittern (Acetylcholin, Dopamin, GABA, Glutamat, Opioide). Es reguliert zahlreiche vegetative Prozesse wie den Schlaf, die Nahrungsaufnahme, die Sexualität, die Körpertemperatur, hormonelle Aktivitäten und den Blutdruck. Darüber hinaus vermittelt es unterschiedliche psychische Funktionen wie einfache Formen des Lernens, Impulssteuerung, timmungskontrolle (Depressivität) und Angst.



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