Das Kleinhirn

 

Das Kleinhirn oder Cerebellum ist das wichtigste Integrationszentrum für das Erlernen, die Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen. Es sitzt der Medulla oblongata und dem Pons von hinten auf (Abb. 4.1). Mit diesen ist es über die drei Kleinhirnstiele Pedunculus cerebellaris superior, medius und inferior und die beiden Kleinhirnsegel Velum medullare superius und inferius verbunden. Die Segel bilden das Dach des vierten Ventrikels. Von außen fällt am Kleinhirn die starke Furchung der Kleinhirnrinde auf, die zahlreiche Windungen, Foliae, aufschiebt (vgl. auch Abb. 8.2). Wie im Großhirn dienen diese Windungen der Oberflächenvergrößerung, wobei diese im Kleinhirn noch weitaus ausgeprägter ist. Das Kleinhirn hat nämlich mehr Zellen zu beherbergen als das Großhirn, obwohl es bedeutend weniger Volumen hat. Mit Blick von hinten auf das Kleinhirn erkennt man zwei Hemisphären und den dazwischen liegenden Wurm, die Vermis. Bauchseits befindet sich am Wurm beidseits angeordnet eine kleine Struktur, die als Flocculus bezeichnet wird, und über den Stiel, den Nodulus, mit dem Wurm verbunden ist (Abb. 8.1). Aufgrund funktioneller Gemeinsamkeiten wird das Kleinhirn in drei Anteile unterteilt: Vestibulocerebellum, Spinocerebellum, Pontocerebellum (Abb. 8.1).

 

Cerebellum. Pontocerebellum, Spinicerebellum, Vestibulocerebellum Abb. 8.1: Gliederung des Kleinhirns. (oben: Ansicht von oben; unten: Ansicht von unten)

 

Die Regionen des Kleinhirncortex tragen ihren Namen aufgrund der Afferenzen, die sie erhalten. Afferenzen, Verschaltungen und Efferenzen sind in Abb. 8.2 näher dargestellt. Das Spinocerebellum erhält über den oberen Kleinhirnstiel Informationen über die Tiefensensibilität aus dem Rückenmark. Das Pontocerebellum erhält nach der Verschaltung im Pons und Kreuzung der Bahnen über den mittleren Kleinhirnstiel Informationen über die Bewegungsentwürfe aus dem Frontal- und Temporallappen. Das Vestibulocerebellum schließlich erhält – ebenfalls von der gegenüber liegenden Seite, d.h. nach Kreuzung der Bahnen, – Informationen über das Gleichgewicht aus den Vestibularkernen und dem Vestibularorgan direkt über den unteren Kleinhirnstiel. Zusätzlich gelangen nach Kreuzung über den unteren Kleinhirnstiel Informationen aus der Olive, in der Eingänge aus allen wichtigen motorischen Zentren des Zentralnervensystems zusammenlaufen (Cortex, Nucleus ruber, Formatio reticularis und Rückenmark), zum Spino- und Pontocerebellum. Einige dieser Eingänge geben bereits Kollateralen an die Kleinhirnkerne, den Nucleus dentatus, den Nucleus globosus, den Nucleus fastigii und Nucleus emboliformis, ab.

 

Kleinhirn, Cerebellum, Afferenzen, Efferenzen Abb. 8.2: Schema der afferenten und efferenten Kleinhirnbahnen. (Durchgehende Pfeile stellen Afferenzen, Pfeile mit doppelter Spitze Efferenzen und gestrichelte Pfeile Verbindungen innerhalb des Kleinhirns dar. Farben symbolisieren Zugehörigkeiten.)

 

Des Weiteren projiziert das Spinocerebellum zum Nucleus dentatus, globosus und fastigii, das Pontocerebellum zum Nucleus dentatus, emboliformis und fastigii und das Vestibulocerebellum zum Nucleus dentatus und fastigii.

 

Der größte Kleinhirnkern, der Nucleus dentatus, projiziert dann über den oberen Kleinhirnstiel zum Thalamus und nimmt so Einfluss auf die Willkürmotorik. Eine weitere gemeinsame Bahn von Nucleus dentatus, Nucleus globosus und Nucleus emboliformis projiziert durch den oberen Kleinhirnstiel zum Nucleus ruber, worüber das Kleinhirn Einfluss auf die extrapyramidale Motorik erlangt und in einem Schaltkreis zurück zum Kleinhirn projiziert. Über eine weitere efferente Bahn nimmt der Nucleus fastigii verlaufend im unteren Kleinhirnstiel Einfluss auf die Stützmotorik.

 

Anhand der Afferenzen und Efferenzen des Kleinhirns lässt sich bereits auf seine Funktion schließen. Es erhält Informationen über Lage und Stellung des Körpers ebenso wie über geplante Bewegungen. Diese Informationen integriert es und nimmt dann Einfluss auf die auszuführenden Bewegungen und die Stützmotorik. Mehr zur Rolle des Kleinhirns in den motorischen Regelkreisen von Bewegung findet sich im Kapitel zur Motorik.

 

Kleinhirn, Cerebellum, der Ratte Abb. 8.3: Querschnitt durch das Kleinhirn einer Ratte in Nissl-Färbung und 20facher Vergrößerung.

Schließlich sei noch ein Wort zum Aufbau der Kleinhirnrinde gesagt. Die Kleinhirnrinde ist dreischichtig aufgebaut. In der äußeren Schicht, der Molekularschicht, verlaufen größtenteils Fasern, in der zweiten Schicht, der Purkinjezellschicht, liegen die Zellkörper der für das Kleinhirn charakteristischen großen Purkinjezellen und in der dritten Schicht, der Körnerzellschicht, die Zellkörper der Körnerzellen (Abb. 8.3, 8.4). Darunter schließt sich das Marklager an, das die einlaufenden und auslaufenden Bahnen führt.

 

Abb. 8.4: Golgi-Versilberung einer Purkinjezelle aus dem Kleinhirn der Ratte in 600facher Vergrößerung.

Afferente Fasern erreichen die Kleinhirnrinde als Moosfasern oder Kletterfasern. Erstere enden an den Körnerzellen der Körnerzellschicht, letztere ranken sich um die Purkinje-Zellen und verzweigen sich dabei reichhaltig. Die Körnerzellen senden ihre Axone in die Molekularschicht, wo sie sich parallel zur Windung aufzweigen und schließlich an Purkinje- und anderen Zellen terminieren. Die Purkinje-Zellen sind die einzigen Zellen der Kleinhirnrinde, die Efferenzen aus der Rinde heraus bilden. Lokale, hemmende Interneurone sorgen für ein Rückkopplungssystem (Abb. 8.5).

 

Trotz der verschiedenen Zelltypen ist die Verschaltung innerhalb der Kleinhirnrinde recht einfach und somit anschauliches Beispiel der Verschaltungsprinzipien innerhalb corticaler Areale allgemein.

 

Verschaltung, Kleinhirnrinde Abb. 8.5: Schema der Verschaltungen innerhalb der Kleinhirnrinde. (Erläuterungen im Text.)
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